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Hamburg

28.12.15

Altstadt

Senatorin will keine Kompromisse

Von Oliver Schirg

Im Streit mit Bürgerinitiativen um Flüchtlingsheime will Melanie Leonhard "jede Beschwerdeinstanz ausschöpfen"

Altstadt. Trotz der steigenden Zahl an Klagen gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte will Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard nicht auf Kompromissangebote von Anwohnern eingehen. Sie werde "jede Beschwerdeinstanz ausschöpfen", die sich ihr biete, sagte die SPD-Politikerin in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. "Wir müssen das so machen, wenn wir es ernst meinen mit der stadtweiten Verteilung von Flüchtlingen."

Zugleich lehnte die Senatorin es ab, mit Bürgerinitiativen über Alternativvorschläge zu diskutieren. "Die Gerichte schlagen keine Vergleiche mehr vor. Sie sagen nur noch Ja oder Nein." Auch die Kläger würden nicht mehr sagen, sie seien mit dem Bau einverstanden, sofern die Belegung geringer ausfällt. Grundsätzlich sei es aber so, "dass jeder Mensch das Recht hat, Gerichte anzurufen", fügte die Senatorin hinzu.

Hintergrund sind mehrere erfolgreiche Klagen von Bürgerinitiativen vor den Verwaltungsgerichten gegen zu große Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft. Für Flüchtlingsheime in Klein Borstel und Lemsahl-Mellingstedt wurden ein Bau- bzw. ein Belegungsstopp verhängt. Urteile dazu werden in Kürze erwartet.

Die Sozialsenatorin beklagte, "dass wir es in Hamburg immer wieder mit Entscheidungen zu tun gehabt haben, bei denen Gerichte neue bundes­gesetzliche Regelungen unserer Ansicht nach nicht ausreichend anerkannt haben".

Unterdessen kündigte Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel an, dass die Unterkunft für rund 520 Flüchtlinge an der Vogt-Kölln-Straße in Stellingen am 4. Januar 2016 ihren Betrieb aufnehmen werde. Betreiber der Einrichtung ist das Deutsche Rote Kreuz.

Die Unterkunft hatte über Wochen nicht bezogen werden können, weil der Lieferant der 272 Wohncontainer ein Brandschutzzertifikat nicht vorlegen konnte. "Wir haben dieses Zertifikat jetzt erhalten und uns durch ein weiteres Büro die Sicherheit bestätigen lassen", sagte Sprandel.

Von Problemen mit dem Brandschutz sind weitere Flüchtlingsunterkünfte betroffen. So stehen seit gut vier Wochen rund 500 Wohncontainer an der Luruper Hauptstraße leer. Probleme gibt es zudem am Fiersbarg in Lemsahl-Mellingstedt und bei Einrichtungen, die das städtische Unter­nehmen "Fördern & Wohnen" errichtet hat.

Flüchtlingskoordinator gibt Versäumnisse beim Brandschutz zu

Sprandel räumte "mehrere Unsicherheiten bei der Interpretation der Brandschutzangaben ausländischer Hersteller" ein. Das bedeute nicht, dass die Wohncontainer nicht den deutschen Brandschutzbestimmungen entsprächen. "Wir benötigen dann aber die Bestätigung eines Sachverständigen, dass die Angaben unseren Richtlinien entsprechen", sagte der Spitzenbeamte.

In einigen Fällen liege zwar das Zertifikat vor, aber bei der Besichtigung der Container seien Probleme festgestellt worden. In anderen Fällen wurde gegen den Brandschutz verstoßen. "So wurden beispielsweise Kabeldurchführungen durch Wände nicht mit feuerfestem Material abge­dichtet."

Nach den Worten des Flüchtlingskoordinators werden beim Kauf von Wohncontainern alle Anforderungen formuliert und geklärt. "Ich will aber nicht ausschließen, dass es dabei auch Missverständnisse gegeben hat." Man sei der Überzeugung gewesen, die richtige Bestellung ausgelöst zu haben.

Für die Container aus China, die unter anderem an der Luruper Hauptstraße aufgestellt wurden, hat die Sozialbehörde bislang 31 Millionen Euro ausgegeben. Über die Höhe der Nachrüstkosten konnte Sprandel nichts sagen. "Für uns geht es derzeit darum, mit einer Flüchtlingsunterkunft an den Start zu gehen." Sozialsenatorin Leonhard versuchte, die Vorfälle mit den Wohncontainern herunterzuspielen. "Das sind eigentlich normale Dinge, die auch nicht problematisch wären, müssten deshalb nicht Hunderte Menschen noch länger in der Erstaufnahme bleiben." Ohne Nachrüstung könne man die Container nicht einsetzen. "Denn es steht im Raum, dass sie im Falle eines Brandanschlags möglicherweise nicht sicher sind."

Der Flüchtlingskoordinator machte deutlich, man werde künftig bereits bei der Planung von Containersiedlungen stärker darauf achten, dass weniger schiefgehen könne. So entstünden Probleme bei mehrstöckigen Einrichtungen und vor allem dann, wenn eine Geschossfläche von 400 Quadratmetern überschritten werde.

Denkbar sei zudem, dass frühzeitig Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfswerk (THW) bei der Planung von Flüchtlingseinrichtungen ein­bezogen würden. Das THW errichtet und betreibt seit Jahren Unterkünfte.

"Aus den Missverständnissen der Vergangenheit haben wir gelernt und werden unsere neuen Erfahrungen bei künftigen Lieferungen frühzeitiger als bisher einbringen." Ohnehin setze man auf Lieferanten von Containern, mit denen man schon seit Längerem zusammenarbeite. "Neue Lieferanten müssen Referenzen vorweisen."

Die Lage auf dem Wohncontainermarkt hat sich nach den Worten von Sprandel entspannt. "Wir erhalten viele Angebote." Oftmals gebe es jedoch keine Zertifikate oder Zeichnungen. "Wir sind über Rahmenverträge mit mehreren Containerherstellern ausreichend abgesichert." Engpässe wie im Frühherbst gebe es jedenfalls nicht mehr, sagte der Flüchtlingsbeauftragte.